Dienstag, 28. August 2012

Schwangerschaft

Die Zeit der Schwangerschaft ist für die Eltern eine Zeit, in der Äonen von neuen Doing Gender Praktiken aufgetan werden können. Es gibt wohl wenig Zustände, die weiblicher sind, als eine Schwangerschaft. Es ist auch allenthalben eine gesicherte Erkenntnis, dass viele Paare, auch wenn zuvor egalitär organisiert, zu einer traditionelleren Rollenverteilung zurückfinden, sobald sie Kinder haben.
Ich will mich jedoch in diesem Blog jedoch nicht mit vorrangig mit dem Doing Gender von Erwachsenen beschäftigen, sondern damit, wie Kinder durch die Behandlung von Erwachsenen und anderen Kindern von frühester Kindheit an durch Doing Gender geprägt werden. Da dies zumindest vorerst eher unsystematisch in Tagebuchform geschieht, konzentriere ich mich dabei in erster Linie auf sprachliche Interaktionen, die besonders augefällige Formen von Doing Gender darstellen. Im Laufe der Zeit mag die Dokumentation subtiler werden und verschiedene Dimensionen des Doing Gender in der Biografie meines Kindes und ggf. meiner zukünftigen Kinder aufnehmen.

Die Schwangerschaft wäre eigentlich nicht unbedingt eine Zeit gewesen, die besondere Erwähnung verdiente. Allerdings las ich kürzlich einen Artikel, der meine Meinung diesbezüglich änderte:
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/50910
Die Epigenetik, ein Bereich mit dem ich mich nicht gut auskenne, entwickelt sich als, wenn ich hier meine wenigen Kenntnisse zusammenfasse, zu folgenden Zeitpunkten:

  1. Während der Entstehung der Eizellen beim Fötus im Mutterleib.
  2. Während der ersten Produktion von Spermien bei Jungen während des Eintritts der Pubertät.
  3. Während der Schwangerschaft im Fötus.
  4. Im Laufe des Lebens.
Wer hierzu etwas anderes oder differenzierteres beitragen kann, der möge entsprechende Quellen gern im Kommentar posten.
Der Artikel nennt eine neue Studie, die aufgezeigt hat, dass die Epigenetik bei eineiigen Zwillingen unterschiedlich ist. Sie wissen nicht wie diese Unterschiede zustande kommen. Im Radio hörte ich einen Genetiker darüber spekulieren, ob die Lage und Position im Mutterleib u.U. Einfluss haben möge.
Durch die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik, insbesondere der Sonografie, sind die meisten Eltern in der Lage das Geschlecht ihres Kindes lange vor der Geburt mit relativ großer Sicherheit zu kennen. Eine Nabelschnurbiopsie und ähnliche invasive Verfahren machen die Untersuchung der kindlichen Gene möglich und damit eine eindeutige Geschlechtsbestimmung. Allerdings sind diese Verfahren wesentlich seltener, als die Sonografie. Es ist also durchaus möglich, dass sich werdende Mütter unterschiedlich verhalten, je nach dem, ob sie ein Mädchen oder einen Jungen erwarten. Die Unterschiede wären, wenn sie denn bestünden, wahrscheinlich von Person zu Person unterschiedlich und nur sehr schwer empirisch zu erfassen. Da es jedoch etliche Hinweise darauf gibt, dass Mütter mit ihren weiblichen Säuglingen mehr sprechen, wäre es eine nicht ganz von der Hand zu weisende Hypothese, dass auch werdende Mütter mehr mit dem Kind in ihrem Mutterleib sprechen, wenn sie erwarten, dass es ein Mädchen wird. Für die Sprachentwicklung ist es, so wurde inzwischen nachgewiesen, relativ wichtig, dass die Kinder schon vor der Geburt ihre Muttersprache hören, es ist also positiv für die Sprachentwicklung, wenn die Mutter und ihre Umwelt viel spricht. Hierdurch werden entsprechende Bereiche im Gehirn frühzeitig stimuliert. Ob da das Sprechen mit dem Ungeborenen einen entscheidenden Unterschied machen kann, ist fraglich, aber in Einzelfällen ggf. nicht ausgeschlossen, etwa wenn die Mutter sich in einer spracharmen Umgebung befindet und selbst auch eher wenig spricht. Dann könnte die zusätzliche Stimulation auf Grund der Erwartung, dass der Fötus weiblich ist, einen gewissen Ausschlag geben. Dies ist jedoch alles vollkommen hypothetisch, aber ich erwähne es hier, um den Möglichkeitsraum wenigstens anzudeuten.

Während meiner Schwangerschaft war es unser beider elterlicher Wunsch über das Geschlecht des Kindes nicht aufgeklärt zu werden. Daher kann ich noch weniger beurteilen, ob das Wissen über das Geschlecht mein Verhalten beeinflussen könnte. Die Reaktionen meiner Umwelt waren jedoch sehr interessant.
  • Mehrmals wurde angedeutet, dass das Einkaufen für das Kind "unmöglich" sei, wenn mir das Geschlecht nicht bekannt wäre. In aller Regel wies ich dann darauf hin, dass es neben rosa und hellblau auch noch andere Farben im Farbspektrum zur Verfügung stehen. In einem Fall antwortete sogar jemand: "Stimmt, wir haben unsere Tochter nach der Geburt auch nur in weiß gekleidet.". Er hatte also sogar sein eigenes geschlechtsneutrales Verhalten vergessen, obwohl sein Kind erst wenige Jahre alt ist. Diese Reaktion beschränkte sich jedoch mehr auf Personen, zu denen wir einen eher oberflächlichen Kontakt pflegten.
  • Auf professioneller Seite wurde diese Entscheidung rundheraus ohne jede Diskussion akzeptiert. Die in der Schwangerschaft betreuende Hebamme erwähnte, dass ihrer Erfahrung nach die meisten Eltern das Geschlecht wissen wollen, nur Hebammen wollen dies in der Regel nicht und "besondere Paare". Die gynäkologische Spezialistin, die bei mir die Ersttrimesteruntersuchung durchführte, zeigte sich dankbar darüber, dass ich das Geschlecht nicht wissen wolle. In aller Regel, erklärte sie mir, wollten die Eltern von ihr das Geschlecht wissen und zu diesen Zeitpunkt sei es noch nicht so eindeutig erkennbar, wie später. Daher sei sie über alle Eltern froh, die es nicht wissen wollen, weil die meisten Eltern von Zweifeln nicht wissen wollen und sehr ungehalten reagieren, wenn sie sich vertut. Später sprach ich mit einer Freundin darüber, die verärgert darüber war, dass diese Spezialistin ihr diese Informationen nicht gegeben habe, sondern nur konstatiert habe, es werde ein Mädchen. Spätere Untersuchungen hatten dann auf einen Jungen hingedeutet und so war es dann auch.
  • Einige Personen mit denen wir intensiven Kontakt pflegten, vermuteten dass wir insgeheim über das Geschlecht des Kindes bescheid wüssten und diese Information nur für uns behalten würden.
  • Einige Personen, mit denen wir intensiv Kontakt pflegten, machten sich Gedanken darüber, welches Geschlecht das Kind haben könnte: Meine Schwiegereltern, meine Schwester und einige meiner Arbeitskollegen glaubten, dass es ein Junge werden würde. Diese Meinung wurde von einigen anderen geteilt, nur mein Mann war der Überzeugung es würde ein Mädchen werden.
  • Zwei Personen waren der Ansicht, dass es uns im Verlaufe der sonografischen Untersuchungen unmöglich sein werde das Geschlecht des Kindes nicht zu kennen, da es zu offensichtlich werde. Dieses Problem hatte ich nicht. Mein Mann behauptet im Nachhinein was anderes. Zugegebener Maßen hatte er auch immer eine bessere Aussicht auf den Bildschirm. Andererseits wies die Gynäkologin mehrfach darauf hin, dass das Kind zur Geschlechtsbestimmung sowieso eine ungünstige Position einnehme.
  • Nach der Geburt zeigte sich, dass meine Schwiegereltern, mein Vater bzw. seine Freundin und die Mutter eines Freundes mit dem Kauf des Babygeschenks gewartet haben bis nach der Geburt, damit geschlechtsspezifische Kleidung möglich wurde. Die Tatsache, dass die Geburt drei Wochen vor dem errechneten Termin stattfand, spielte hier jedoch den Protagonisten in die Hände. Meine Mutter hatte darauf verzichtet und vor der Geburt neutrale Kleidung gekauft.
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Dieser blog ist nicht der Ort für Grundsatzdiskussionen zu biologischen Determinismen von Geschlecht, zur Sinnhaftigkeit verschiedener Forschungsansätze oder des Feminismus.

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